Science & Fun | Startseite |  Einführung in die 1H NMR Spektroskopie

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Die bisherige Behandlung der 1H-NMR-Spektroskopie könnte bei Ihnen den Eindruck hervorgerufen haben, diese Methode wäre in ihrer Anwendung sehr leicht zu beherrschen. Beispiele und Spektren waren auch bisher stets so gewählt, daß sie übersichtlich und einfach auszuwerten waren.
Im allgemeinen sind aber die NMR-Spektren komplizierter und damit schwieriger zu analysieren.
Auf folgende Komplikationen soll hier nur hingewiesen werden:
  1. Die Einzellinien von Signalen hoher Multiplizität (M > 5) haben naturgemäß sehr geringe Intensitäten, so daß oft nicht alle theoretisch erwarteten Multiplettlinien zu erkennen sind.
    Zum Beispiel: Multiplett der CH-Gruppierung in (CH3)2CHCH2OH mit M = 21 (siehe 3 in 119c und 122).
  2. Multipletts können sich überlagern und damit Aufspaltungsbilder vortäuschen.
  3. "Long-range"-Kopplungen (d.h. Kopplungen über mehr als drei Bindungen) können in stärkerem Maße wirksam werden, als hier im Programm dargestellt wurde (besonders bei Beteiligung von p-Bindungen). Zum Beispiel: Kopplung zwischen den beiden CH2-Gruppen in CH3COOCH2C=CCH2OH (siehe Schritt 110a).
  4. Es handelt sich nicht mehr um "first-order"-Spektren. Immer dann, wenn die Kopplungskonstante JAB von gleicher Größe wie die Frequenzdifferenz DABn der Signale der beiden koppelnden Gruppen A und B (JAB » DABn ) wird, verändern sich die Aufspaltungsverhältnisse stark und folgen nicht mehr den in diesem Programm dargestellten einfachen Regeln.

    Zum Beispiel: Die Ethylenprotonen in Struktur ergeben bei n0 = 60 MHz ein vom "first-order"-Fall (drei Dubletts von Dubletts mit jeweils relativen Intensitäten 1: 1: 1: 1; siehe Schritt 96ff.) völlig abweichendes Spektrum:
    nA = 344 Hz
    nB = 364 Hz
    nC = 372 Hz
    JAB = 11,75 Hz
    JBC = 0,91 Hz
    JAC = 17,92 Hz
    Spektrum


    Zum Vergleich hier einmal die gleiche Verbindung gemessen bei einer höheren Feldstärke:

    250 MHz Spektrum

    Sehen Sie sich bei Bedarf auch einmal die Änderung des Spektrums von Acrylnitril beim Übergang von 60 nach 250 MHz bzw. umgekehrt an.

    Aus dem gleichen Grund erscheinen die Signale der Phenylprotonen sehr oft als komplizierte Folge von Einzellinien (siehe auch Schritt 88).
    "First-order"-Spektren werden immer nur dann zu erwarten sein, wenn gilt:
    DAXn > 6 · JAX
  5. Spin-Spin-Kopplungen zwischen Protonen und anderen Kernen mit Kernspins (z.B. 31P, 13C oder 19F) können zu weiteren Aufspaltungen führen.
    Zum Beispiel: Kopplung zwischen 1H und 19F in CH3-CF2-CH2Cl:
    Spektrum

    Trotzdem kann die Analyse der 1H-NMR-Spektren auch auf der Grundlage Ihrer bisherigen Kenntnisse in vielen Fällen Strukturentscheidungen erleichtern:
    1. Aus der An- oder Abwesenheit von Signalen in bestimmten Spektralbereichen kann auf die An- oder Abwesenheit entsprechender Gruppen im Molekül geschlossen werden.
    2. Die Analyse von Spektrenteilen mit "first-order"-Charakter kann Aussagen zu Teilfragen ermöglichen.

Lösen Sie nun noch die folgenden Aufgaben!